RTI-Dome am CCeH: Erster Testlauf erfolgreich absolviert

Der Dombauverein am CCeH meldet die Fertigstellung seines ersten funktionalen RTI-Dome-Prototypen. Die Ergebnisse eines Testlaufs mit stark verwitterten Siegeln aus der Sammlung Robert Feind sind vielversprechend: Zuvor unleserliche Siegel konnten erfolgreich entziffert werden.

RTI-Ansicht eines Siegels aus der Sammlung Robert Feind

Reflective Transformation Imaging (RTI) ist ein Bildgebungsverfahren, bei dem ein Objekt unter verschiedenen Lichtverhältnissen fotografiert wird. Die entstandenen Fotos werden zusammengerechnet und können dann mit stufenlos verschiebbarer virtueller Lichtquelle betrachtet werden. Dabei können feinste Oberflächenstrukturen von Gegenständen wie Münzen, Siegeln, Steintafeln oder Papyri sichtbar gemacht werden. RTI ist somit eine günstige und praktische Alternative zur teuren und aufwändigen 3D-Digitalisierung.

RTI wurde 2002 bei Hewlett Packard entwickelt und wird schon seit längerem bei der Digitalisierung im Bereich Cultural Heritage angewandt – so z. B. im Projekt Magica Levantina an der Universität zu Köln. Klassischerweise wird dabei eine Kamera an einem Stativ fixiert. Die Fotografin bewegt sich mit einem mobilen Blitzgerät um das Objekt, misst den jeweiligen Beleuchtungswinkel und löst die Aufnahme aus.

Da von jedem Objekt zwischen 20 und 60 Aufnahmen gemacht werden müssen, ist die Arbeit recht mühselig und zeitaufwändig. Sophie Breternitz, Restauratorin und RTI-Expertin der Kölner Papyrussammlung, rechnet inklusive Aufbau, Testlauf und Positionierung mit 30 bis 60 Minuten je Objekt.

Durch eine Dome-Konstruktion lässt sich dieser Aufwand deutlich reduzieren. Dabei handelt es sich im Grunde um eine lichtdichte Halbkugel (oder Salatschüssel), in deren Wand die Lichtquellen in Form spezieller LEDs fest angebracht sind. Die Halbkugel wird über ein Objekt gestülpt und die Kamera mit der Linse nach unten in das integrierte Gewinde an einem Loch in der Kugeloberseite eingeschraubt. Per Knopfdruck leuchten die LEDs der Reihe nacheinander auf – synchron dazu wird je eine Fotoaufnahme ausgelöst. In wenigen Minuten entsteht so vollautomatisch eine qualitativ hochwertige RTI-Aufnahme.

Das Dombau-Team um die CCeH-Kollegen Gioele Barabucci, Marcello Perathoner und Marcel Schaeben hat nun einen funktionalen Prototypen eines solchen Domes fertig gestellt, der im Creative Space des CCeH zur Nutzung bereit steht. Besonders hervorzuheben ist die Leistung unseres Elektronik-Experten Marcello Perathoner, der vom Löten und Anbringen der LEDs, über den Bau und der Programmierung des Controllers, bis hin zur Entwicklung der Auswertungssoftware in C und Python den Großteil der Konstruktionsarbeit geleistet hat.

Der Kölner Dome hat einen Durchmesser von 50 cm und eignet sich zur Erfassung von Objekten mit bis zu 10 cm Durchmesser. Einen ersten erfolgreichen Einsatz hat er bereits hinter sich: Dazu wurden seitens der von Prof. Dr. Claudia Sode geleiteten Forschungsgruppe in byzantinischer Siegelkunde (Maria Teresa Catalano, Martina Filosa, Robert Feind) von der Abteilung Byzantinistik und Neugriechische Philologie des Instituts für Altertumskunde einige byzantinische Bleisiegel aus dem 11. Jh. aus der Sammlung Robert Feind zur Verfügung gestellt, die im Rahmen eines Testlaufs mithilfe des Domes digitalisiert wurden. Dabei wurden speziell sehr schlecht erhaltene, stark korrodierte und teilweise plattgedrückte Siegel ausgewählt, die sowohl mit bloßem Auge unter künstlicher Beleuchtung als auch mithilfe analoger und digitaler Vergrößerungsmethoden völlig unleserlich waren. Die Aufnahmen inklusive Vorbereitungen und Positionierung der Siegel dauerten ca. drei bis fünf Minuten pro Objekt.

RTI-Ansicht des Siegel des Alexios, Mönch, Erzbischof von Zypern und synkellos (S-118 Avers, Sammlung Robert Feind, Köln). Mit gedrückter Maustaste über das Bild fahren, um den Belichtungswinkel zu verändern.
Die Tranksription lautet:
+κεr.
ηθειΑ̣..
ξ̣IMο̣..
x.
Κύριε βοήθει ᾿Α[λεξί(ῳ)] μο[να]χ[ῷ]
Gott, hilf Alexios, Mönch, Erzbischof von Zypern und synkellos.

Die Ergebnisse sind nicht nur optisch beeindruckend – sie sind auch weit über Köln hinaus wissenschaftlich interessant:

Die RTI-Aufnahmen mit dem Dome waren entscheidend für die Entzifferung eines der Siegel. Unser Team konnte vereinzelte, für die Lesung relevante Buchstaben sicher erkennen und anhand dieser den Inhalt der Legende fast vollständig rekonstruieren. Infolgedessen konnten zwei Parallelstücke aufgespürt werden – das erste in der Sammlung byzantinischer Bleisiegel der Eremitage in Sankt Petersburg, und das zweite in der Sammlung von Dumbarton Oaks in Washington, DC. Zum einen wurde die Lesung unseres Siegels durch die Parallelstücke ergänzt; zum anderen konnte die Lesung des Siegels von Dumbarton Oaks durch die unseres Siegels verbessert werden. Vorher waren beide Siegel nicht als Parallelstücke erkannt worden.

Martina Filosa und Maria Teresa Catalano, Abteilung Byzantinistik und Neugriechische Philologie, Institut für Altertumswissenschaften

An diesem Beispiel zeigt sich, dass RTI einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung nicht nur in der Siegelkunde leisten kann, sondern in vielen Bereichen, in denen die Untersuchung der Oberfläche kultureller Artefakte eine Rolle spielt. Das Dome-System macht die RTI-Methode durch deutlich verringerten Zeit- und Trainingsaufwand auch auf größere Sammlungen skalierbar.

Ein besonderer Dank geht an die DingFabrik in Köln-Ehrenfeld. In der offenen Werkstatt des DingFabrik Köln e.V. konnten wir durch unentgeltliche Nutzung von Bohrmaschine und Lochsäge sowie kompetenter Beratung der anwesenden Mitglieder mit der Frage, wie man ein exakt rundes Loch genau in die Mitte einer Salatschüssel bekommt, eine der größten ingenieurstechnsichen Herausforderungen beim Dombau überwinden.

Literatur und Weiterführende Links

Für eine genauere Beschreibung des RTI-Verfahrens und seine Anwendung im Projekt Magica Levantina siehe

Fischer, Franz and Makowski, Stephan (2017). Digitalisierung von Siegeln mittels Reflectance Transformation Imaging (RTI). Paginae historiae – Sborník Národního archivu, 25/1. S. 137-141. ISSN 1211‑9768 (https://kups.ub.uni-koeln.de/7882/1/PH25-1-2017-Fischer-Makowski-Siegel-RTI.pdf)

Ausführliche, öffentliche Projektdokumentation von Marcello Perathoner
https://cceh.github.io/rti/index.html

GitHub-Repository der Steuerungs- und Auswertungssoftware
https://github.com/cceh/rti

Inspiration für das CCeH-Modell des Domes
https://hackaday.io/project/11951-affordable-reflectance-transformation-imaging-dome

Der Dome des Instituts für Archäologie an der Universität zu Köln, Abteilung Archäoinformatik
http://archaeoinformatics.net/the-kolner-dome-project/

Weiterführende Literatur

Duffy, Sarah M (2013). Multi-light Imaging for Heritage Applications, English Heritage, https://content.historicengland.org.uk/images-books/publications/multi-light-imaging-heritage-applications/Multi-light_Imaging_FINAL_low-res.pdf/

Empfehlungen über den Nachhaltigen Umgang mit RTI-Daten bei IANUS
https://www.ianus-fdz.de/it-empfehlungen/rti